“Die Straße frei der roten Jugend”, in Reih und Glied getragene Hammer und Sichel-Fahnen – dass sich innerhalb der radikalen Linken in Deutschland etwas politisch verändert hat, haben in den letzten Jahren viele gesehen, die an linken Demos und Aktionen teilgenommen haben. Gruppen mit einem positiven Bezug auf Lenin, Stalin, Mao und Trotzki – um nur einige Beispiele zu nennen – die über Jahrzehnte in der deutschen Linken nur eine randständige Rolle gespielt haben, scheinen plötzlich “wie aus dem Nichts” nicht nur aufgetaucht zu sein. Sie nehmen auch zunehmend inhaltlich, praktisch und kulturell einen immer größeren Raum in der radikalen Linken ein. Mit der medienwirksam geschickt inszenierten “Besetzung” der Roten Flora in Hamburg am 14. Mai diesen Jahres durch einige von ihnen, verbunden mit der Ansage, das bald sie “hier den Ton angeben würden”, ist vielen bewusst geworden, es ist dringend an der Zeit sich mit ihnen inhaltlich ernsthaft auseinanderzusetzen.

Auch wir haben damit angefangen. Dabei haben wir festgestellt, es fehlt uns schon an grundlegenden Begriffen zur Bestimmung dieses Phänomens. Die brauchen wir aber, so glauben wir, um uns diese Entwicklung nicht nur erklären zu können, sondern auch um sie vernünftig inhaltlich kritisieren und perspektivisch in ihren Einfluss beschränken zu können.

Einblick in den vorläufigen Zwischenstand unserer Diskussion über diese von uns als “autoritäre Linke” bezeichnete Strömung in der radikalen Linken bietet folgendes Thesenpapier. Wir freuen uns sehr über Anmerkungen, Kritiken, Widerlegungen und natürlich auch Zuspruch. Gerne könnt ihr uns dieses unter kontakt@basisgruppe-antifa.org zukommen lassen.


These 1: Zum Begriff

Wir sprechen von „autoritären Linken“ und nicht von „Roten“, „MLern“, „K-Gruppen“ oder „Leninisten“ nicht nur, weil es der historisch ältere Begriff ist, sondern weil es nicht nur ein beschreibender, sondern ein inhaltlicher bestimmender Begriff ist.

These 2: Zur Kategorie

Die Kategorien „autoritär“ und „antiautoritär“ sind Kategorien der Gesellschaftsveränderung und damit auch der Gesellschaftsanalyse. Gesellschaft ist mehr als die Gesamtheit aller Individuen und ihrer Verhältnisse zueinander. Jedes Individuum ist Ensemble seiner gesellschaftlichen Verhältnisse. Damit ist es Ausdruck eines widersprüchlichen, dialektischen, Verhältnisses, dessen Widersprüchlichkeit sowohl Voraussetzung als auch Praxis der gesellschaftlichen Totalität ist. Erscheinungsform der gesellschaftlichen Totalität ist das ihr scheinbar entgegengesetzte Individuum. Beide Kategorien, autoritär und antiautoritär, folgen aus der Gesellschaft und sind durch die gesellschaftlichen Entwicklungen und ihre historischen Prozesse geformt.

These 3: Zur Vertracktheit der Gesellschaftsanalyse

Das Ziel der Gesellschaftsanalyse ist es, sie zu begreifen und zu beschreiben. Die dialektische Totalität der Gesellschaft stellt damit für die Analyse eine besondere Herausforderung dar. Sie muss Gesellschaft als Ganzes beschreiben, darf sie nicht einseitig in Richtung Zusammenhang oder Individuum auflösen, muss in der Beschreibung und im Begreifen von beidem, beides entsprechend vorkommen lassen. Vertrackt!

These 4: Zur noch vertrackteren Gesellschaftskritik

Entsprechend steht es um die Gesellschaftskritik und Veränderung. Für sie gelten nicht nur die Anforderungen der Gesellschaftsanalyse. Sie ist, in ihrem Verändern, in ihrer anti-gesellschaftlichen Tätigkeit gleichzeitig auch immer eine gesellschaftliche Tätigkeit. Streng genommen wäre damit die einzig mögliche Form der Abschaffung dieser Gesellschaft ein gleichzeitiger, gesamtgesellschaftlicher Suizid – schließlich sind auch die, die versuchen die Gesellschaft abzuschaffen, ein Teil von ihr. Genauer wäre es deswegen von der Aufhebung der Gesellschaft durch Gesellschaftskritik und Veränderung zu sprechen. Noch vertrackter!

These 5: Autoritär und Antiautoritär

In dem Versuch, Gesellschaft zu begreifen, zu verändern und aufzuheben, beschreiben die Begriffe „autoritär“ und „antiautoritär“ zwei logische und damit abstrakte Pole. „Autoritär“ meint dabei die einseitige Auflösung der gesellschaftlichen Totalität in Richtung des Zusammenhangs. Beispiele dafür sind die Umwidmung feministischer Alltagspraxis zu einem Mittel für die Revolution, die Reduktion des Staates auf seine Funktion als Gewaltapparat (und damit die Nutzbarmachung für den eigenen Gebrauch zu anderen Zwecken) oder die Unterordnung der Formen der politischen Praxis und Organisierung unter ihren Zweck, der Ausblendung oder Reduktion der Bedeutung der Formen der Gesellschaftsveränderung unter ihr Ziel. Umgekehrt meint „antiautoritär“ damit die einseitige Auflösung der gesellschaftlichen Totalität in Richtung des Individuums. Beispiele hierfür sind eine Praxis der Gesellschaftsveränderung, die sie vor allem in der Veränderung zwischenmenschlicher Verhältnisse sieht, verbindliche und kollektive Formen der Organisierung und (Selbst)Disziplin grundsätzlich ablehnt oder erkenntnistheoretisch Gesellschaftsanalyse soweit in Richtung des Individuums, des Subjektiven, aufgelöst hat, dass keine Objektivität, keine Wahrheit mehr emanzipatorisch denkbar ist. Eigentlich stehen wir, versuchen wir, damit „in der Mitte“ zwischen diesen beiden Polen zu stehen. Wir sind eigentlich keine antiautoritären Linken.

These 6: Gegen identitäre Vereindeutigung

Die (Selbst)Beschreibung als „antiautoritäre Linke“ ist eine politische, eine historisch gewordene. Die politisch erfolgreiche Oktoberrevolution der Bolshewiki in Russland ist die bisher bedeutsamste und einschneidendste Wegmarke in der Weltgeschichte der Linken. Sie beendete und löste die bisher die weltweite Linke bestimmenden Diskussionen und Debatten über Inhalte, Praxis, (Organisierungs)Form von Reform und Revolution einseitig auf zu Gunsten der von den russischen Bolshewiki angewandten. Grund dafür war (und ist heute weiterhin) ihr Erfolg, der so, nur dort gelang. Das „Erfolgsargument“ schlug (und schlägt weiterhin) jedes andere Gegenargument. Der sie inhaltlich und politisch prägende Politiker der Bolshewiki war Lenin. In der, sowohl innerrussischen als auch weltweiten, linken Diskussion wendete er bzw. die Vertreter*innen seiner politischen Strömung, die Beschreibung des „Antiautoritarismus“ auf seine außer und innerparteilichen Gegner*innen an. Dies teils berechtigt, teils als Teil von Rhetorik und Polemik. Die Selbstbeschreibung als „antiautoritäre Linke“ ist deswegen auch immer noch der Nachschein der weltweiten (Selbst)Veränderung der Linken nach der Oktoberrevolution und der bis heute reichenden Stärke des „Erfolgsarguments“ bzw. der Schwäche der „antiautoritären Linken“, einen eigenen „Erfolg“ vorweisen zu können. Sie verbleibt bis heute im “anti“. Historisch und politisch richtig müssten wir uns deshalb eigentlich als „anti-leninistische“ Linke beschreiben. Das zeigt: Eine identitäre Vereindeutigung funktioniert inhaltlich hier nicht. Es bleibt eine politische Abgrenzung, die sich in unserer Praxis erst noch beweisen muss.

These 7: Lenin

Anstelle von der „autoritären Linken“ zu sprechen, wäre es historisch und politisch genauer, von der „leninistischen Linken“ zu sprechen. Gleichzeitig ist aber auch dieser Begriff nicht vor Tücken gefeit. Richtig wäre er, weil es kaum eine Strömung der autoritären Linken gibt, die sich nicht auf ihn bzw. seine Inhalte verschieden Interpretierenden oder verschieden weiter Entwickelnden (Trotzki, Stalin, Mao, Hoxha, Kaypakkaya, Gonzalo, what ever) beziehen. Dabei ist auch dieser Bezug gleich mehrfach vertrackt. Obwohl von seinen Fans behauptet, gibt es einen „Leninismus“ als eine geschlossene und einheitliche Weltanschauung genauso wenig wie einen „Marxismus“. Der Bezug auf Lenin ist deswegen auch immer ein doppelter: Auf seine Inhalte als auch auf seinen „Erfolg“ und damit auf die höhere Legitimation, die auch über hundert Jahre nach der Oktoberrevolution noch aus ihr versucht wird zu ziehen. Ohne diese und die sie kennzeichnenden Formen, Inhalte und Folgen, ist kein positiver Bezug auf Lenin zu haben. In diesem Sinne, in all seiner inhaltlichen teils Widersprüchlichkeit, gibt es damit dann doch einen Leninismus: Als Verlaufsform seines politischen Lebens.

These 8: Gemeinsamkeiten

Nicht inhaltlich-logisch, sondern historisch-politisch begründet, gibt es zwei Kernelemente, die, allerdings in starker Variation, alle auszeichnen, die sich positiv auf Lenin oder die ihn verschieden Interpretierenden beziehen. Sie finden sich deshalb, in unterschiedlichen Formen, bei allen Gruppen und Theoretiker*innen, die wir aktuell als „autoritäre Linke“ bezeichnen.

These 8a: Der Voluntarismus

Voluntarismus meint im Spannungsfeld subjektiver Möglichkeiten und Handlungen auf der einen und objektiven Bedingungen und Möglichkeiten auf der anderen, die Überbetonung des Subjektiven. Folge dessen ist zum Beispiel die besondere Bedeutung der Organisation, „der Partei“, für alle Leninist*innen. Ihr Aufbau als bedeutsamste Voraussetzung für die Revolution nimmt deswegen bei manchen einen fast religiösen Charakter an. Zum objektiv fortschrittlichsten Teil der Klasse (oder Masse oder Volk) erklärt, tritt sie bei manchen Leninist*innen (unbewusst) an die Stelle der Klasse. Im Gegensatz zur Partei könne die Klasse im Alltag über ein „trade- unionistisches“ Bewusstsein nicht hinauskommen, die Kommunist*innen sind damit keine Fraktion der Klasse, kein Teil ihrer Selbstbewegung mehr, sondern eine Organisation „von außen“. Der Form „der Partei“, der Organisation, kommt deswegen auch eine besondere Bedeutung zu, ihr „monolithischer Charakter“ ist Voraussetzung der Revolution (Wobei auch hier eine Spannbreite zu beachten ist: So gehen Trotzkist*innen aus „ihrer“ historischen Erfahrung von einem Recht auf Fraktionsbildung in der Kaderpartei aus (die Grundlage der vielen trotzkistischen Spaltungen), für Ultra-Maoist*innen wie die Gonzalofans hat die „Partei“ mehr den Charakter einer militärischen Geheimorganisation.).

These 8b) Ein Weltbegriff von Kapitalismus, Partei und Revolution

In die Lebenszeit Lenins fällt die Entstehung des Weltmarkts, des Kolonialismus und die weltweite Durchsetzung von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus als gesellschaftliche Deutungsfolien. In der weltweiten linken Debatte über den Imperialismus stach Lenin mit seiner Imperialismustheorie hervor, weil für sie der Imperialismus die Zuspitzung der angenommenen Tendenz des Kapitalismus zur Monopolbildung auf Weltebene ist. Der Imperialismus ist für Lenin weltweiter Monopolkapitalismus, damit ist auch jede politische Bewegung die sich gegen die „Monopole“ und „ihre“ Staaten richtet, antiimperialistisch. Die Folgen dieser Theorie sind weitreichend. Aus ihr folgt zum Beispiel ein positiver Bezug auf „nationale Befreiungsbewegungen“. In dem der Imperialismus weltweiter Monopolkapitalismus ist, lässt sich daraus auch die Erwartung einer baldigen Revolution ziehen: Mit der Entwicklung der Monopole ist keine weitere Weiterentwicklung des Kapitalismus möglich, der Imperialismus ist die „höchste Form“ des Kapitalismus, immer weiter eskalierende Kriege und soziale Konflikte sind die Folge. Aus dem Verständnis des imperialistischen Kapitalismus als Weltzusammenhang folgt auch ein anderes Verständnis von Politik: Jeder Ort der Welt ist abstrakt gleichermaßen ein möglicher Ort der beginnenden Weltrevolution, „die Partei“ muss deswegen auch immer eine Internationale sein. Lenins Imperialismustheorie wird damit sowohl zur Stärke als zur Schwäche ihrer Fans. Auf der einen Seite passt sie scheinbar stimmig zu den Erscheinungsformen imperialistischer Konkurrenz, kann Kriege und Krisen erklären, macht die Kommunist*innen kompatibel zu nationalistischen und antikolonialen Bewegungen und zu Regionen der Welt, die von bäuerlichen Produktionsweisen der Subsistenz gekennzeichnet sind. Auf der anderen Seite ist das auch ihre Schwäche und Ort ihrer großen historischen Niederlage: Auf den Erfolg im bäuerlichen Russland sollte, musste, die Weltrevolution folgen. Diese trat aber nicht ein. Alle folgenden Spaltungen in Trotzkismus, Stalinismus, Maoismus und Co., sind Folgen dessen, Versuche sie sich zu erklären und einen Umgang damit zu finden. Die autoritäre Linke, die ihre Wette auf die Weltrevolution nicht einlösen und seitdem in unzählige, teils mörderisch verfeindete, Strömungen gespalten ist, aber auch für die antiautoritäre Linke. Zerrieben zwischen antirevolutionärer und antikommunistischer Sozialdemokratie auf der einen Seite und der leninistischen Linken auf der anderen, ist es ihr seitdem historisch nur noch an wenigen Punkten der Geschichte gelungen, solch eine gesellschaftliche Größe und Wirkungsmächtigkeit zu entfalten, dass es ihr gelungen wäre, ihre Theorie und Analyse auf das historisch notwendige Niveau zu heben. Das heutige, immer noch, Zehren an den Debatten und Theoretiker*innen der kritischen Theorie und von 68ff., ist Ausdruck dessen. Der aktuell den Menschen subjektiv als eine Vielzahl von Krisen und Kriegen gegenübertretende eskalierende kapitalistische Konkurrenz gelingt es der antiautoritären Linken deshalb auch nur mit theoretischen Oberflächlichkeiten oder Sprachlosigkeit entgegenzutreten. Die autoritäre, leninistische Linke dagegen präsentiert eine Vielzahl von, oft zum unhinterfragbaren Dogma gepanzerten, „Wahrheiten“, die, im Verhältnis zur antiautoritären Linken, mit dem Verweis auf den historischen Erfolg, überzeugender daherkommen. Dazu sind ihre, dem Voluntarismus immanenten, Formen wie Disziplin und Opferbereitschaft kompatibel mit den eingeübten Formen des Marktsubjekts, dem autoritären Charakter. In der eskalierenden Konkurrenzgesellschaft wird die autoritäre Linke so zunehmend, inhaltlich und historisch begründet, in der Tendenz zur erfolgreicheren Strömung in der Linken.

These 9: Autoritäre Lösungsangebote

Kriege, Inflation, Corona, Klima: die Welt, die Gesellschaft scheint zunehmend unüberschaubarer, krisenhafter, noch bedrohlicher zu werden als sie es sowieso schon immer war. Und in der Krise haben autoritäre Lösungsangebote Hochkonjunktur. In der eskalierenden Konkurrenzgesellschaft bieten sie sich dem autoritären Charakter als naheliegendes Mittel zur Bewältigung der eigenen sozialen Abstiegsängste und Bedrohungen an. Die sozialdarwinistischen „Querdenker“, die Wahlerfolge der AfD oder die Gründung des „Bündnis Sarah Wagenknecht“ (BSW) sind Beispiele dafür. Sie alle sind verschiedene Ausdrücke des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks. Vor dem ist natürlich auch die radikale Linke nicht gefeit. Was das BSW für die linke Sozialdemokratie ist, das sind all die Parteiaufbau, „roten“ oder sonst wie neo-K-Gruppen, die autoritäre Linke für sie; ob sie sich jetzt auf Lenin, Stalin, Trotzki, Mao oder sonst wen beziehen. Auch wenn sie damit Ausdruck des Rechtsrucks als objektive, gesamtgesellschaftliche Bewegung sind, autoritäre Linke werden damit aber selbstverständlich nicht zu Rechten, sie sind Linke.

These 10: Ein deutscher Sonderweg

Für viele antiautoritäre Linke in der BRD passiert das (Wider)Erstarken der autoritären Linken scheinbar plötzlich und unerwartet. Tatsächlich aber waren sie nie weg. Linke die sich auf Lenin, Trotzki, Stalin und Co. beziehen, waren in der Wahrnehmung vieler Linksradikaler über Jahrzehnte wahlweise ältere Angehörige von Sekten, die wie aus der Zeit gefallen wirkten oder von marktschreierische Franchise-Unternehmen, denen es vor allem um den Verkauf von Zeitungen und den Gewinn von Mitgliedern ging. In den außerparlamentarischen Bewegungen und sozialen Kämpfen in Deutschland der letzten Jahrzehnte kamen sie so gut wie nie vor, man begegnete sich nicht. Die tendenzielle Organisationsfeindlichkeit der antiautoritären Linken, ein hoher personeller Durchlauf sowie der Bezug auf die eigene Subkultur haben vielleicht begünstigt nicht wahrzunehmen, dass dieses besondere innerlinke Kräfteverhältnis in der BRD (und vielleicht noch in anderen Staaten Mittel und Südeuropas), global betrachtet immer eine Ausnahme war. Sie gründete vor allem in der Besonderheit des Zusammenbruchs der DDR und der damit einhergehenden inhaltlichen Delegitimation aller sich auf Lenin und Co. beziehenden politischen Ansätze. Verstärkend wirkte noch die finanziell-organisatorische Abhängigkeit vieler linker Organisationen von der DDR, angefangen bei der DKP und ihren bis 1989 nach Eigenauskunft bis zu 40.000 Mitgliedern. Auf die politisch-soziale Krise in Ostdeutschland 1990ff konnte die autoritäre Linke deswegen keine Antwort geben, dies blieb vor allem den Rechten vorbehalten. Ebenfalls eine autoritäre, wenn auch eine sozialdemokratisch-sozialreformerische Antwort (mit staatsintegrativer Folge) waren die Wahlerfolge der PDS. Teile dessen was sich heute programmatisch und organisatorisch getrennt als BSW – wenn auch auf weitgehend anderer personeller Grundlage – erste Wahlerfolge feiert, findet sich bereits dort als Teil der frühen PDS. Der Wahrheitsgehalt der Wahrnehmung, die Fans von Lenin und Co. seien überwundene Relikte der Vergangenheit, war damit, wenn auch geografisch begrenzt, für viele Jahrzehnte bis Ende der 2010er in der BRD hoch. Er wurde zudem durch einen selektiven Blick in die europäischen Nachbarländer begünstigt, in denen ML-Parteien ebenfalls schwere legitimatorische Krisen durchmachten. Allerdings blendete er das gesamtgesellschaftliche als auch innerlinke Kräfteverhältnis dort meist aus. So erreichte Beispielsweise die Moskau-orientierte Kommunistische Partei Italiens Mitte der 80er Jahre noch bis zu 33 % bei Wahlen, in Frankreich war in der 80er Jahren die Kommunistische Partei sogar an der Regierung beteiligt. In vielen europäischen Ländern sah das ähnlich aus. Die autoritäre Linke wurde auch dort massiv geschwächt, befand sich aber immer noch auf einem im Verhältnis zur BRD, schwindelerregend hohen Niveau. Global betrachtet sieht das ähnlich aus, die Kommunistische Partei Japans zählt aktuell circa 300.000 Mitglieder, ohne die Kommunistische Partei des Sudan und ihren gewaltigen gesellschaftlichen Einfluss wäre es 2019 vermutlich nicht gelungen die dortige Militärdiktatur zu stürzen, um nur zwei Beispiele zu nennen. In diesem Sinne lässt sich deshalb eher gerade von einer Angleichung der innerlinken Kräfteverhältnisse in der BRD im Zuge des Rechtsrucks an die weltweiten Verhältnisse sprechen. Nicht Abwehr oder Ignoranz, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit des eigenen Nachholbedarfs in der Analyse und Kritik der autoritären Linken sind richtige Antworten hierauf. Bei Genoss*innen in anderen Ländern lassen sich vielleicht dafür nützliche Hilfestellungen finden.

These 11: Emanzipation statt Autoritarismus

Allen autoritären Linken ist gemein, begründet in der Leninschen Theorie, die methodische Unterordnung der Mittel unter den Zweck. Das dialektische Verhältnis von Reform und Revolution lösen sie autoritär auf. Dabei variiert die konkrete Form: Im stalinistischen Konzept von Minimal und Maximalforderungen wird das Verhältnis bürokratisch-organisatorisch durch die Partei aufgehoben, für das trozkistische Konzept der Übergangsforderungen sind Kämpfe um Verbesserungen eine Art „manipulative Pädagogik“, in der die Kämpfenden mit der Erhebung von Forderungen die in dieser Gesellschaft nicht realisierbar sind, lernen sollen, dass für ihre Durchsetzung die revolutionäre Partei notwendig ist. (Post)Maoist*innen spitzen all das noch einmal zu, Reform & Revolution werden bei ihnen zu reinen Gewaltfragen, Revolutionstheorie ist bei ihnen Militärtheorie. Zu den in der eskalierenden Konkurrenz sich subjektiv zuspitzenden Krisen und zunehmenden sozialen und ideologischen Kämpfen und Auseinandersetzungen können die autoritären Linken deswegen immer nur ein instrumentelles Verhältnis haben, ihr politisches Handeln ist immer vor allem auf die Stärkung der eigenen Organisation, den Aufbau „der“ Partei gerichtet. Ohne revolutionäre Situation droht ihnen das sich Verlieren in Tageskämpfen, die Selbstsozialdemokratisierung, oder die Verkümmerung zur Sekte, ewig das abstrakte Heilsversprechen von Partei und Revolution wiederholend. Als antiautoritäre Linke haben wir dagegen etwas materiell Nützliches zu den Kämpfen beizutragen. An die Stelle von Massenorganisationen, Schulungen und Parteiaufbau setzen wir Ideologiekritik und Selbstorganisation, Selbst- und Gesellschaftsveränderung als ein sich bedingendes, praktisches Verhältnis. Kämpfe um Verbesserungen statten wir so mit einer organisch aus sich heraus, perspektivisch über diese Gesellschaft hinausweisenden Perspektive aus. Reform und Revolution sind so kein Gegensatz, sondern werden zur gegenseitigen Bedingung, die ohne eine die sie führenden Partei auskommt, Befreiung zur Selbstbefreiung und damit überhaupt erst emanzipatorisch. Was im Kampf gegen die autoritäre Rechte gilt, dass wir den Rechten nicht nur argumentativ, sondern auch praktisch, in Form von kollektiv solidarisch geführten sozialen Kämpfen um Verbesserungen in und gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse entgegentreten müssen, das gilt damit auch als Mittel gegen die autoritäre Linke. Wem es gelingt die eigene Positionierung und Verstrickung in diese gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur zu durchschauen, sondern auch praktisch, mit anderen zusammen entgegenzutreten, die*der hat auch keinen Bedarf an autoritären Krisenlösungen – rechten wie linken!